Von alleine wäre ich wohl kaum auf die Idee
gekommen, mich über längere Zeit in Eva Wipfs grosses
und vielseitiges, aber oft doch eher beklemmend bis selbstquälerisch-depressiv
und darum auf Viele abschreckend wirkendes Werk zu vertiefen.
Ich wurde dazu eingeladen - wie etliche andere Kunstschaffende
auch. Anlass dazu war die Gedenk-Ausstellung zu ihrem 40.
Todesjahr. Ich nahm die Herausforderung an, denn ich
"wusste", dass ich ein paar verborgene Schätze
finden würde. Aus der grossen Sammlung des Museums, das sich im
ehemaligen Pfäffiker Bezirksgefängnis befindet, wählte
ich zwei grosse und ein kleines Gemälde, auf die ich frei
assoziierend eingehen wollte (s. dazu auch meinen Erläuterungs-Flyer
für die Ausstellungsbesucher*innen Jeder
ist ein Künstler). Wipfs Tagebuch-Notizen, zu
finden im Buch "die neue Sprache", waren dabei
wegweisend. Für mehrere Wochen tauchte ich also tief in
einen imaginären Dialog mit ihr ein.
Für die Installation hatte ich die zwei norm-kleinen, für
die Museumszwecke zusammengeführten Gefängniszellen
Nr. 11 und 12 zur Verfügung:


Eva Wipfs „Paradiesgarten“ - im Inventar
zudem als „Räderwerk" oder "Mandala“
aufgeführt - war mein Schlüsselbild für alle 3
Dialoge. Von mir aus hätte es z.B. auch „Aquädukt
vor Riesenkarrussel“ oder „Paradiesgarten mit
Notlandepiste für Astronauten“ genannt werden können.

Dialog 1 mit dem "Paradiesgarten":
Alles will ich malen.

Während Wochen versenkte ich mich immer
wieder kontempla-tief in die malerischen Unschärfen
meines Schlüsselbildes, interpretierte diese sehr frei,
liess sie in neuer Klarheit aufscheinen und ergänzte
die so gehobenen Schätze wahlweise mit Textfragmenten
aus Eva Wipfs Tagebuch-Notizen.
als Beispiel: links ein Original-Détail,
rechts meine "Schärfung" und
Interpretation





Dialog 2 mit der "surrealen
kleinen Landschaft": Ich werde der grosse
Gegenspieler!




Dialog 3 mit dem "Generalissimo":
Holt mich endlich zurück!


Dialog 4 mit dem blauen
Zentrum im "Paradiesgarten": Mein Reich
ist nicht von dieser
Welt!
Installation mit Drehmechanik von
Martin Flüeler und Deckenbild:
. 

„jeder Mensch ist ein
Künstler“…
... Frau auch. Dass ich hier dennoch nur das Maskulinum
verwende, hat zwei Gründe: 1. bin ich auf meinen Streifzügen
durch Eva Wipfs Schriften nie auf die weibliche Form gestossen. Und
2. meinte ihr berühmter Zeitgenosse mit seinem oft
fehlgedeuteten Statement gewiss auch die Frauen – halt in der
damals noch üblichen, patriarchal geprägten Sprache und in
einem männlich dominierten Kunstbetrieb. Gem. Beuys ist also
jeder ein Künstler. Meines Erachtens nur schon darum, weil sich
jeder, ob bewusst oder unbewusst, immer und von fast allem ein Bild
macht. Manchmal sogar von Allem. Gewiss von der sicht- und
greifbaren Welt. Aber auch von der vorgestellten (imaginierten!).
Von Freund und Feind. Sowieso von sich selbst. Je nach Bild(nis)
erfahren wir die Welt und denken und handeln entsprechend. Und
erschaffen so - individuell und kollektiv - unsere „Wirklichkeit“
(sie könnte also auch ganz anders sein). Das ist der eine, aber
wahrscheinlich wichtigste Aspekt unseres Schöpfertums. - Wir
machen uns aber nicht nur ein Bild von „der Wirklichkeit“,
sondern auch von einem Bild. Titel und Legenden dienen darum oft als
Leitplanken. Damit wir „richtig“ sehen. Auch wenn es
dann doch jeder wieder ein wenig anders sieht. Oder sogar sehr.
Eva Wipf hat uns nur teilweise solche Sehhilfen gegeben.
Bei vielen ihrer Werke fehlen Titel und Datum. „Die Anderen
sollen miträtseln und mittragen“, schrieb sie mal in ihr
Notizheft.
Das Schlüsselbild für meinen Dialog war dieser
„Paradiesgarten“ - im Inventar ist es auch mit „Räderwerk,
Mandala“ bezeichnet. Von mir aus könnte es auch „Aquädukt
vor Riesenkarrussel“ heissen. Oder „Wundergarten mit
Notlandepiste für Astronauten“. Zum Beispiel.
Ich hatte das Glück, den „Paradiesgarten“
über die Sommerferien in meinem Atelier zwischenlagern zu dürfen.
So konnte ich mich, begleitet von Evas Tagebuchnotizen, oft in
stiller Betrachtung davor setzen, um ihm ein paar Geheimnisse zu
entlocken. Und wenn möglich die drei gewählten Exponate
miteinander zu vernetzen. Vorallem aber wollte ich für mein
komplexes Bild, das ich mir von dieser Frau und ihrem Werk bereits
gemacht hatte, „Beweise“ finden… In diesen
kontemplativen Stunden entstanden oft Nähe und Vertrautheit.
Und hinter dem vordergründig Schmerzhaften, Düsteren fand
ich auch hintergründig Kurliges, Heiteres, Sehnendes. Weisheit
und verborgene Schönheit, Trolle und Madonnen, Traumwelten und
Räume für das Unsagbare. Mit meinen
Betrachtungs-Standorten ging ich ebenso frei um wie Eva: mal vom
Himmel hoch, mal ebenerdig, mal kopfüber. Eine kleine Auswahl
von mich besonders faszinierenden Bildstellen habe ich dann malend
„heraus geschnitten“, leicht akzentuiert und mit Zitaten
ergänzt. Als Einladung für Ihre eigenen Sehreisen.
Vielleicht finden Sie nun sogar die „Notlandepiste für
Astronauten“ :-). Und machen sich sowieso Ihr eigenes Bild.
Jeder Mensch ist ein Künstler...
Mit Ausnahme des Gedichts „Du“, das Bea
Fischbacher in einem früheren Dialog mit Eva Wipfs Werk
verfasst hatte, sind alle Zitate original Wipf, aber sehr „willkürlich“
von mir gesetzt oder gekürzt. Ich verwendete sie kreuz und
quer, auch für meine Zwiegespräche mit dem „Generalissimo“
und dem „roten Tuch“, ohne mich einer mir eh nicht
bekannten Chronologie verpflichtet zu fühlen, sondern frei
imaginierend zu einem Lebens-Bilder-Bogen fügend.
Nimmt mich wunder, was Frau Eva und Künstler Wipf
von meinem Machwerk halten würden...
Gerda Tobler, im Oktober 2018 (Ausstellungs-Flyer) |